Ecuadors Staatschef Rafael Correa fordert die Mitverantwortung der Welt. Über die Hälfte des notwendigen Geldes für das revolutionäre „Dschungel-statt-Öl“-Projekt liegt schon im Fonds.
Es geht voran mit Ecuadors visionärem „Dschungel statt Öl“-Projekt: Als „Erfolg auf der ganzen Linie“ wertete Präsident Correa die Veranstaltung am Rande der UN-Vollversammlung, zu der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Ende September geladen hatte. Kommen genug Mittel von der internationalen Gemeinschaft zusammen, will Ecuador auf die Förderung von Erdöl im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks, dem so genannten ITT-Gebiet, verzichten. Bis Ende 2011 sollen 100 Millionen US-Dollar zusammenkommen.
„Die Welt lernt von Yasuní“, sagte Ban Ki-moon; mit Führungsstärke, Kreativität und Engagement sei nachhaltige Entwicklung möglich. Italien zahlt für die Yasuní-ITT-Initiative im Rahmen eines Schuldentauschs 35 Millionen Euro in den Treuhandfonds ein, der voriges Jahr unter dem Dach des UN-Entwicklungsprogramms eingerichtet wurde. Nach Chile sagte Kolumbien 100.000 Dollar zu, Peru 300.000 und Australien 500.000 Dollar.
Belgische und französische Regionalregierungen sind ebenfalls mit von der Partie, sogar multinationale Konzerne wie der brasilianische Bauriese Odebrecht. Mit dem Geld sollen 45 neue Naturschutzgebiete ausgewiesen, Wiederaufforstung und erneuerbare Energien vorangetrieben und Forschungsprogramme finanziert werden.
Correa machte aber auch wieder deutlich, dass er persönlich am liebsten das Öl im ITT-Gebiet fördern will, rund 20 Prozent der in Ecuador entdeckten Vorkommen. „Finanziell wäre das für uns besser“, sagte er, zu den heutigen Ölpreisen sei das „schwarze Gold“ 14 Milliarden Dollar wert. Und Ecuador brauche diese Mittel für Straßen, Krankenhäuser, Schulen, Bücher und seine Landwirtschaft. Kritiker in Ecuador werfen Correa vor, wegen dieser Ambivalenz sei er der größte Bremser des Projekts.
Der Staatschef erinnerte erneut daran, dass vor allem die Industrieländer den Klimawandel verursacht haben und erklärte: „Wir möchten gegen die Erderwärmung kämpfen, aber dafür brauchen wir die Mitverantwortung der Welt.“ Durch den Verzicht auf die Ölförderung würde nicht nur das artenreichste Gebiet Amazoniens und der Lebensraum zweier isoliert lebender indigener Völker geschützt, sondern auch direkt das Klima: 410 Millionen Tonnen Kohlendioxid würden der Erdatmosphäre erspart bleiben.
Ivonne Baki, die Chefin der Yasuní-Verhandlungskommission, jubelte bereits, der Plan B, also die Ölförderung, sei „auf dem Müllhaufen“ gelandet. Die Türkei, Katar und weitere arabische Staaten werden auch einzahlen, ebenso „ganz Südamerika“, kündigte sie an. Der Pragmatiker Correa, der offen auf umstrittene Öl-, Bergbau- und Agrospritprojekte setzt, will aber erst im Dezember Bilanz ziehen.
In Deutschland, woher in der Anfangsphase ab 2007 die wohl wichtigste Unterstützung kam, machen Umweltverbände und -politikerInnen mobil. Sogar die CDU/CSU-Bundestagsfraktion forderte die Bundesregierung auf, zum Yasuní-Fonds beizutragen. Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten flog Mitte Oktober nach Ecuador. Grüne, Linke und SPD stehen einhelllig hinter der ITT-Initiative.
Die REDD-Kontroverse: Nur die FDP von Entwicklungsminister Dirk Niebel stellt sich quer. Niebel, der im September 2010 die Kehrtwende der Bundesregierung verkündete, plädiert hingegen für Marktmechanismen wie das in der Klimadebatte vor allem von westlichen Industrieländern propagierte REDD (Reducing Emissions from Deforestation und Forest Degradation). Über diese jüngste Variante des Emissions- oder Ablasshandels soll auf dem kommenden Klimagipfel in Durban weiter diskutiert werden.
Für Alberto Acosta, Correas früheren Freund und ersten Energieminister (s. auch S. 42), ist Yasuní-ITT auch eine „praktische Kritik an der Kommerzialisierung der Natur“. Wer REDD fördert, leugne dessen negative Auswirkungen auf die indigenen Gemeinschaften, meint Acosta. Mit REDD werde der Regenwaldschutz zum Geschäft: Anstatt den dringend notwendigen Schwenk in Richtung der Post-Erdöl-Zivilisation zu vollziehen und die Atmosphäre von schädlichen Emissionen zu befreien, sei REDD ein Akt blindwütiger Kommerzialisierung.
„REDD ähnelt den Glasperlen, mit denen europäische Konquistadoren bei der Eroberung Amerikas den Ureinwohnern ihr Gold abluchsten“, sagt Acosta: Es könne in der Praxis sogar ein Anreiz für die indigenen Gemeinschaften werden, die Ausbeutung der Ressourcen zuzulassen, die sie ansonsten auf ihrem Land verhindern würden.
Rafael Correa hingegen verteidigte die REDD-Mechnismen auf dem Klimagipfel von Cancún, anders etwa als Bolivien. Auch wenn die Unterschiede zwischen der ecuadorianischen Regierung und ihren KritikerInnen von links deutlicher zutage treten denn je: Zumindest verbal setzen beide Seiten jetzt ganz auf die „Zivilgesellschaft“, vor allem in den USA und Europa.
Der deutsche Minister Niebel befürchtet zudem einen Präzedenzfall: Sollte Yasuní-ITT Erfolg haben, könnten auch andere Länder künftig Geld für unterlassene Umweltzerstörung fordern, meint der ultraliberale Politiker. Dazu sagt Acosta: „Genau das ist unsere Hoffnung. Schaffen wir zwei, drei, viele Yasuní auf der Welt.“
Gerhard Dilger lebt und arbeitet seit 1999 als Korrespondent deutschsprachiger Medien in Brasilien.
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